Die Akteure des Wohnungsbaus in Deutschland fordern ein schnelles, konsequentes und effektives Umsteuern der Wohnungsbaupolitik von Bund und Ländern. Hierzu legt das Bündnis folgendes Positionspapier vor.
Deutliche Rückgänge im Wohnungsneubau absehbar
Die durch den russischen Angriff auf die Ukraine ausgelösten volkswirtschaftlichen Verwerfun- gen haben mit Blick auf die Energiepreise und die damit weiter steigenden Material- und Bau- preise zu einer sprunghaft erhöhten Inflation geführt. Durch die Zinserhöhungen der Europäi- schen Zentralbank kommt ein deutlich verschlechtertes Finanzierungsumfeld hinzu. In der Folge ergeben sich hohe Belastungen für private Haushalte, Unternehmen und deren Beschäf- tigte. Anders als während der Corona-Krise ist diesmal auch die Bauwirtschaft betroffen. Dabei ist der Bedarf an bezahlbarem Wohnraum ungebrochen hoch. Damit der Bau wieder als wirt- schaftlicher Stabilitätsanker wirken kann, müssen Bauprojekte für Investoren wieder plan- und kalkulierbar werden – ansonsten dürften viele bereits genehmigte Projekte nicht realisiert wer- den, und der Wohnungsneubau wird deutlich geschwächt. Die ambitionierten und zu begrü- ßenden Wohnungsbauziele der Bundesregierung würden damit in weite Ferne rücken. Gleich- zeitig führen nicht realisierte Bauvorhaben zu weniger Nachfrage und damit unweigerlich zu einem Kapazitätsabbau bei Fachkräften, die in der vergangenen Dekade aufgebaut wurden.
Soziale und wirtschaftliche Folgen
Die Folge eines nachhaltigen Rückgangs der Bautätigkeit wäre eine weitere Verschärfung der ohnehin schon angespannten Situation auf den Wohnungsmärkten. Zwar kann die zum Jah- resanfang in Kraft getretene Wohngeldreform der Bundesregierung soziale Folgen teilweise abfedern; für eine nachhaltige Entspannung auf dem Wohnungsmarkt ist aber eine deutliche Ausweitung insbesondere des geförderten und bezahlbaren Wohnungsangebots erforderlich. Zur Erreichung dieses Ziels muss die Bautätigkeit trotz negativer Schocks stabilisiert werden, damit der Wohnungsbau seine unverzichtbaren Beiträge zur sozialen Sicherheit, regionalen Wertschöpfung und zum Erhalt von Arbeitsplätzen leisten kann.
Anpassung der Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau erforderlich
In dieser Lage ist es notwendig, dass die politischen Rahmenbedingungen für den Bau planbar und verlässlich ausgestaltet sind: Baurechtliche Anforderungen müssen möglichst weit ver- schlankt sowie die richtigen Anreize für den Bau von neuem und die Modernisierung von be- stehendem Wohnraum gesetzt werden. Die von der Bundesregierung bereits eingeleiteten Maßnahmen wie z.B. die Erhöhung der linearen AfA im Mietwohnungsbau auf 3 Prozent p.a. sowie die schrittweise Umsetzung des im Bündnis bezahlbarer Wohnraum verabredeten Maß- nahmenpakets sind richtig, reichen aber angesichts der dramatischen Lage nicht aus. Es be- darf zusätzlicher Schritte, um dringend benötigten Wohnraum zu schaffen, die Baukonjunktur zu stabilisieren und die in den vergangenen Jahren aufgebauten Kapazitäten in der Bauwirt- schaft zu erhalten.
Die Aktion Impulse für den Wohnungsbau, der die untenstehenden Verbände der Bau- und Immobilienwirtschaft, der Planer und Verbraucher, der Deutsche Mieterbund sowie die Indust- riegewerkschaft BAU angehören, schlägt folgende Maßnahmen vor:
1. Neubau-Förderkulisse attraktiv, effizient und technologieoffen gestalten
Der nachhaltige Wohnungsneubau braucht wieder transparente, attraktive und umsetz- bare Förderbedingungen. Daher ist die seit März 2023 greifende BEG-Neubauförderung für das nachhaltige und klimafreundliche Bauen unter Einbeziehung des Lebenszyklus- gedankens grundsätzlich richtig. Allerdings bedarf es spürbarer Förderanreize: Mit einem Gesamtvolumen von 1,1 Mrd. Euro, davon 350 Mio. Euro für das nachhaltige selbstge- nutzte Wohneigentum, ist die Förderung angesichts hoher Baupreise und signifikanter Mehrkosten des EH 40 NH-Niveaus gegenüber dem GEG-Standard dramatisch unterfi- nanziert. Um spürbare Wirkung zu entfalten, müsste das Volumen für die Neubauförde- rung auf mindestens 10 Mrd. Euro pro Jahr erhöht werden. Zusätzlich ist eine Sozialkom- ponente erforderlich, um damit auch eine Sonderförderung für den bezahlbaren Mietwoh- nungsneubau in Verbindung mit einer Mietpreisobergrenze zu ermöglichen. Ziel ist, die Bezahlbarkeit der Mieten zu gewährleisten. Außerdem muss ein effizientes, kostenneut- rales und innovationsfreundliches Förder- und Nachweisverfahren sichergestellt sein.
2. Geförderten Wohnungsbau schneller vorantreiben
Mit weniger als 22.000 neu gebauten geförderten Wohnungen ist der Sozialmietwoh- nungsbestand 2021 aufgrund der zahlreichen auslaufenden Belegungsbindungen auf nur noch 1,1 Mio. Einheiten geschrumpft. Die Entwicklung ist angesichts der bestehenden Engpässe auf dem Wohnungsmarkt und den perspektivisch weiter steigenden Marktmie- ten besorgniserregend. Aus diesem Grund ist der deutliche Hochlauf bei der sozialen Wohnraumförderung des Bundes von 1 Mrd. Euro (2021) auf 3,5 Mrd. Euro (2025/26) positiv, aber nicht ausreichend: Wegen der schwierigen Lage auf dem Baumarkt, den stark gestiegenen Preisen und den weitaus höheren Finanzierungskosten muss der Hochlauf gestrafft und an die Preisentwicklung angepasst werden, um signifikante Effekte auslösen zu können. Daher ist die deutliche Ausweitung der Bundesförderung sowie die entsprechende Ergänzung durch Landesmittel erforderlich. Ziel muss sein, den Bestand an Sozialwohnungen bis 2030 durch den Neubau von jährlich 100.000 Sozialwohnungen sowie den Ankauf von Preis- und Belegungsbedingungen im Bestand auf mindestens 2 Millionen Wohnungen aufzustocken.
3. Förderung des selbstgenutzten Wohneigentums breiter ausgestalten
Die Schaffung einer an Einkommensgrenzen gekoppelten Förderung für das selbstge- nutzte Wohneigentum für Schwellenhaushalte ist ein wichtiger Baustein zum Erreichen der Wohnungsbauziele und grundsätzlich zu begrüßen. Da diese jedoch ausschließlich auf partielle Zinsverbilligungen im Neubau ausgerichtet sein soll, fehlen Erleichterungen für die Schaffung des bei jungen Familien häufig noch nicht ausreichend vorhandenen Eigenkapitalanteils – z.B., wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, durch eigenkapitalerset- zende Darlehen. Für Bezieher niedriger Einkommen wäre darüber hinaus ein Förderbo- nus sinnvoll, damit der aufwendige EH 40 NH-Standard im Neubau erreicht werden kann. Um Schwellenhaushalten die Wohneigentumsbildung auf breiter Ebene zu ermöglichen, sollte auch der Erwerb von Bestandsgebäuden förderfähig gemacht werden, sofern an- schließend eine energetische Modernisierung erfolgt.
4. Impulse für energetische Modernisierungen verstärken – Sanierungs-Booster einführen
Die Modernisierungsrate im Immobilienbestand reicht aktuell bei weitem nicht aus, um die ambitionierten Klimaschutzziele zu erreichen. Um den Gebäudebestand bis 2045 de- karbonisieren zu können, sind die Sanierung der Gebäudehülle und die Umstellung der Heiztechnik auf erneuerbare Energien auf breiter Basis notwendig, wobei die Belastung für Mieterhaushalte im Blick zu behalten ist. Ziel muss sein, bei der Durchführung von energetischen Sanierungsmaßnahmen annähernd Warmmietenneutralität zu erreichen und damit Sozialverträglichkeit zu gewährleisten. Es bedarf dabei zusätzlicher Impulse für die kurzfristige deutliche Ausweitung der Sanierungstätigkeit. Die Angleichung der Förderung von Einzelmaßnahmen an der Gebäudehülle an das Niveau der Heizungsför- derung sowie die Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Durchführung umfang- reicher energetischer Sanierungsmaßnahmen im vermieteten Gebäudebestand kann da- bei ebenso zur Steigerung der Modernisierungsrate beitragen wie die Einführung einer zusätzlichen Modernisierungsförderung für weniger einkommensstarke Haushalte und Familien mit Kindern im selbstgenutzten Wohneigentum.
5. Baurecht entschlacken und bürokratische Fesseln lösen
Die baurechtlichen Vorgaben sind an vielen Stellen kompliziert und kostentreibend und erschweren das effiziente Bauen. Planungs-, Genehmigungs- und Bauprozesse müssen schlanker und schneller werden – durch mehr Personal in den Behörden, digitalisierte Verfahren und die Stärkung von Typengenehmigungen. Darüber hinaus sollte es möglich werden, im Rahmen einer Experimentierklausel unter bestimmten Voraussetzungen durch Abweichung von Gesetzen, Normen und Standards vereinfacht bauen zu können, wenn Gebäudefunktion und -sicherheit gleichermaßen gewährleistet sind. Dies kann z.B. bestimmte Schallschutzanforderungen bei Neu- und Umbaumaßnahmen oder gebäude- technische Vorgaben betreffen. Damit Innovationen nicht verzögert werden, ist darüber hinaus die Beschleunigung der Nachweiserteilung für bestimmte Bauprodukte und Bau- arten notwendig. Schließlich ist für die Erreichung der Wohnungsbau-Ziele auch die be- darfsgerechte Versorgung mit Baurohstoffen dauerhaft zu gewährleisten. Dafür muss die heimische Rohstoffgewinnung verbindlich gesichert werden. Hier gilt es, Genehmigungs- verfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen sowie den Einsatz von Sekundärmate- rialien wie z.B. Recyclingbaustoffen zu erleichtern.
6. Fachkräftebedarf nachhaltig sichern
Auch wenn die Baunachfrage kurzfristig sinken dürfte, bleibt die Fachkräftesicherung an- gesichts der bereits bestehenden Kapazitätsengpässe, des weitergehenden demographi- schen Wandels und der umfangreichen künftigen Herausforderungen am Bau eine zent- rale gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Neben der optimierten Nutzung des vorhandenen Arbeitskräftepotenzials spielt dabei auch die Zuwanderung eine wesentliche Rolle. Ent- sprechend gilt es Hürden abzubauen, um interessierten und qualifizierten Menschen den Einstieg in den deutschen Arbeitsmarkt zu fairen, tariflich abgesicherten Bedingungen zu ermöglichen. Daher ist die an qualifizierter Zuwanderung orientierte Reform des Fach- kräfteeinwanderungsrechts grundsätzlich zu begrüßen. Konkret müssen darüber hinaus Verfahren zur Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse vereinfacht und das Fachkräfteeinwanderungsgesetz auch für junge Menschen geöffnet werden, die hierzu- lande eine Ausbildung z.B. in einem handwerklichen Beruf absolvieren wollen.
Impulse für den Wohnungsbau