Unzulässigkeit der Ausübung von gemeindlichen Vorkaufsrechten
(Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.11.2021, 4 C 1/20)
Zahlreiche Städte und Gemeinden üben regelmäßig Vorkaufsrechte in Gebieten mit einer Erhaltungssatzung bzw. Milieuschutzsatzung aus. Mit seinem Urteil vom 09.11.2021 hat das Bundesverwaltungsgericht diese Praxis in Bezug auf eine Berliner Erhaltungssatzung für rechtswidrig erklärt.
– Wie entstehen Vorkaufsrechte?
Städte und Gemeinden können unter gewissen Voraussetzungen Erhaltungssatzungen erlassen, welche dem Schutz der Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung dienen, kurzgesagt: wirtschaftlich schwächere Mieter sollen vor Verdrängung aus begehrten und daher zunehmend teuren Wohnlagen geschützt werden. Die Satzungen sehen unter anderem Vorkaufsrechte für die Städte und Gemeinden vor.
– Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.11.2021
Das Bundesverwaltungsgericht hat sich in seinem Urteil insbesondere mit der Frage einer zur Ausübung des Vorkaufsrechts erforderlichen Prognoseentscheidung befasst. Während die Vorinstanzen davon ausgingen, eine prognostizierte Gefahr, dass der Käufer durch Aufwertung, Mieterhöhung oder Umwandlung in Wohnungseigentum Teile der Wohnbevölkerung verdrängen werde, reiche zur Ausübung eines Vorkaufsrechts aus.
Mit Blick auf § 26 Abs.4 Baugesetzbuch hat das Gericht klargestellt, dass bei Ausübung des Vorkaufsrechts nicht eine zu befürchtende zukünftige Nutzung ankommt, sondern vielmehr auf die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung über die Ausübung des Vorkaufsrechts. Mithin hatte die Stadt Berlin das Vorkaufsrecht im zugrundeliegenden Fall rechtswidrig ausgeübt.
– Auswirkungen auf bereits ausgeübte Vorkaufsrechte
Zunächst gilt das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts nur zwischen den Parteien des Rechtsstreits, hat also keine unmittelbare Auswirkung auf andere möglicherweise rechtswidrig ausgeübte Vorkaufsrechte. Jedoch bestehen in ähnlichen oder gleichgelagerten Fällen nun erhöhte Prüfpflichten der Gemeinden. Im Rahmen einer Ermessenentscheidung hat die Gemeinde zu prüfen, ob die Ausübung des Vorkaufsrechts rechtmäßig war.
Wird der Verwaltungsakt (Ausübung des Vorkaufsrechts) aufgehoben, so muss der Kaufvertrag ggf. rückabgewickelt und das Grundstück dem Veräußerer rückübertragen werden. Hiermit verbundene Kosten hat die Gemeinde als Schadenersatz zu erstatten.
– Abwendungsvereinbarungen
Um ein Vorkaufsrecht der Gemeinde abzuwenden, besteht die Möglichkeit Abwendungsvereinbarungen mit den das Vorkaufsrecht ausübenden Gemeinden zu schließen. In solchen Vereinbarungen verpflichtet sich der Erwerber regelmäßig von einer Aufteilung in Wohnungseigentum für einen gewissen Zeitraum abzusehen, Leerstand zu vermeiden oder auch Modernisierungsmieterhöhungen auf ein bestimmtes Maß zu begrenzen, mithin werden dessen Rechts hierdurch stark eingeschränkt. Im Gegenzug verzichtet die Gemeinde auf die Ausübung des Vorkaufsrechts.
Im Lichte dessen, dass derartige Vereinbarungen ggf. unter Androhung der (rechtwidrigen) Ausübung eines Vorkaufsrechts geschlossen werden, besteht nun im Einzelfall möglicherweise ein Anspruch auf Anpassung oder gar Kündigung der Vereinbarung. Ebenfalls besteht die Möglichkeit, dass eine Abwendungsvereinbarung im Einzelfall nichtig ist und damit keinerlei Rechtsfolgen hat.
Es lohnt daher, sowohl zukünftige, als auch bereits abgeschlossene Vorkaufsfälle rechtlich zu prüfen und hiergegen vorzugehen.
Thomas Bellmer
Vorstandsmitglied BDB-HESSENFRANKFURT