auf ein WORT: Stephan Och

KI in der Vermessungsbranche – Vision und Realität

Kaum eine technische Neuerung hat in den letzten Jahren so viele Vorschusslorbeeren bekommen wie die Künstliche Intelligenz (KI). Entprechend hoch sind die Erwartungen und Visionen: endlich Mitarbeitende ohne Urlaub und Feierabend, fehlerfreie Arbeit zu jeder Zeit und zu jedem Thema, unkomplizierte Abschreibungsmöglichkeiten, unbegrenzte Sprachkenntnisse, internationale Kompatibilität und vieles mehr bekommt die Branche in Aussicht gestellt. Doch wieviel ist davon bereits am Markt und was davon macht wirklich Sinn?

Aus folgender Situation heraus werde ich versuchen, eine kleine Markteinschätzung zu geben. Die TPI Vermessungsgesellschaft mbH in Dreieich, deren Geschäftsführer ich bin, ist ein Büro für Ingenieurvermessung mit 50 Mitarbeitenden, das immer schon Innovationen auf den praktischen Nutzen geprüft und bei Eignung schnell eingesetzt hat. So ist TPI unter anderem Goldpartner von NavVis in München und arbeitet eng mit Marktführern wie LEICA und anderen zusammen. Ein Grundsatz steht dabei über allem Aktionismus: Was bringt es dem Kunden! Und unter genau diesem Gesichtspunkt wird bei TPI natürlich auch der Einsatz KI geprüft.

Um hierbei zu schlüssigen Ergebnissen zu kommen, werden die Anforderungen an einen Vermessungsdienstleister laufend analysiert und es lässt sich tatsächlich eine Verlagerung hin zu der Verarbeitung sehr großer Datenmengen feststellen. Die Erfassung dieser Datenmengen beruht im wesentlichen auf einer Technik, die mit Hilfe von zum Beispiel Lasern in kürzester Zeit die Vor-Ort-Situation aufzeichnet und große Datenwolken produziert. Natürlich ist auch durch die Robotronik die Datenerfassung großer Volumina mittlerweile in hohem Grad automatisiert und neueste Produkte von bekannten Herstellern schaffen es sogar, den/die Vermesser/in vor Ort weitgehend autark zu unterstützen. Der Gedanke, diese Automatisierung so weit voran zu treiben, dass der Kunde vor Ort die Erfassung selber vornimmt, liegt nahe, doch die Praxis zeigt, dass natürlich das Know-How der Vermessungsingenieure/in vor Ort zu besseren Ergebnissen führt. Gleichwohl wird bei der Erhebung großer Datenmengen die Automatisierung den/die Ingenieur/in entlasten, doch die KI wird zumindest in nächster Zeit hierbei nur unterstützende Funktionen (Stichwort Autopilot in der Robotronik, Drohnensteuerung, etc.) übernehmen.

Ganz anders stellt sich die Situation nach der Erhebung der Daten dar. Die Daten an sich haben erst dann einen Wert, wenn sie zielgerichtet analysiert, gewertet und integrierbar formatiert sind. Und hier hat sich gut trainierte KI mittlerweile eine praxisnahe Funktion erarbeitet. Die schiere Menge an Daten, die zum Beispiel bei komplexen Setzungsanalysen mit einer Vielzahl von Sensoren anfällt, macht eine intelligent automatisierte Reduzierung und zielbezogene Darstellung bzw. Formatierung notwendig. Hier kommt nun KI ins Spiel, ist aber bei weitem noch kein Selbstläufer. Denn nur durch ein zielgerichtetes Training wird die KI in die Lage versetzt, ihre Stärken auszuspielen. Übrigens gibt es bereits die ersten Dienstleister, die so ein Training für Anwendende und deren spezifische Anforderungen anbieten.

Durch das Training lernt die KI, das „Wissen“ ständig zu verfeinern und die Ergebnisse permanent zu verbessern. Denn auch das muss gesehen werden: die verfügbare KI arbeitet alles andere als fehlerfrei! Gerade in den Trainingsphasen ist eine kritische Begleitung und permanente Nachjustierung unvermeidbar, je nach Anwendung kommt man bei Beispielsprojekten auf Fehlerquoten im Bereich von über 20%! Das heißt aber, dass auf der anderen Seite 80% der Auswertungen brauchbar waren und damit je nach Einsatzbereich eventuell ein sinnvoller, überwachter Betrieb schon möglich ist. Auch reicht diese Genauigkeit durchaus aus, wenn Geschwindigkeit oberste Priorität hat, man denke an Geoinformationen für den schnellen Überblick nach einem Katastrophenfall wie einem Erdbeben, Tsunami oder Waldbrand.

Zurück zur Vermessungsbranche: zur Zeit sind wir von der Notwendigkeit, KI ins Vermessungsbüro zu integrieren, noch weit entfernt. Doch zwei Aspekte sprechen dafür, das Thema als innovatives Unternehmen auf der Tagesordnung zu halten:

Zum einen geht die Entwicklung immer schneller voran, viele Branchen sehen in der KI riesiges Potenzial und investieren bereitwillig, wenn auch mit unterschiedlichen Zielen. So zeigt das Fraunhofer-Institut in Stuttgart, wie die Baubranche zum „BIM-mündigen Bauherrn“ werden soll (DER SPIEGEL, Ausgabe 13 vom 25.3.2023, Seite 96ff). Die Vermessungsbranche kann sich dabei so positionieren, dass ihr hier eine Kernrolle zufällt. Und dass die Branche wach geworden ist, zeigt eine aktuelle repräsentative Umfrage, die der Verband Deutscher Vermessungsingenieure (VDV) e.V. in 2022 vorgelegt hat (Künstliche Intelligenz in Geodasie und Geoinformatik, Wilfried Grunau ((Herausgeber)), VDV-Schriftenreihe, Wichmann Verlag 2022). Demnach stimmen 83% der Befragten voll oder eher zu, dass KI eine allgemeine Bedeutung in der Geodäsie hat. Jedoch nur 23,8% stimmen voll oder eher zu, dass die Geodäsie beim Thema KI gut aufgestellt ist. Diese große Differenz lässt einen Aktionismus erwarten, bei dem die Rollen der verschiedenen Marktteilnehmenden gerade verteilt werden.

Ebenso ändern sich aber auch die Anforderungen der Kunden, die natürlich genauso die Entwicklung im Blick haben. Speziell in der Vermessungsbranche gewinnen einmal erhobene digitale Daten massiv an Bedeutung. Je nach Anwendung (GIS, BIM, Kataster usw.) reicht einmal die Verortung als Zielinformation, ein anderes Mal soll es die Farbe und Helligkeit eines Bildpunktes sein, die wichtig ist und auf die Oberflächenstruktur oder sogar das Material Rückschlüsse zulässt. Und das nächste Mal soll der gleiche Punkt den Immobilienmakler unterstützen oder zur Leitungsdokumentation an Relevanz gewinnen. Ein „digitaler Zwilling“ des Bauvorhabens, mit dem das Vorhaben bei dem/der Architekten/in startet, der permanent gepflegt und von allen Baubeteiligten aktualisiert wird und insgesamt durch KI gesteuert wird („… liebe KI, bitte zähle die geplanten Steckdosen, ermittle passende und lieferbare Dosen, erstelle Beispielsbilder von Küche und Schlafzimmer und überprüfe die Budgetierung…“), ist keine ferne Zukunft mehr.

Nichts spricht dagegen, dass diese jeweils unterschiedlichen Informationen von einem einzigen innovativen Dienstleister, der die Daten bevorratet, bereitgestellt werden und an die individuelle IT-Struktur des Kunden angepasst werden. Und nicht nur Neubauvorhaben werden so geplant werden, Millionen von Bestandsbauten warten darauf, als „Digitaler Zwilling“ zu neuem Leben erweckt zu werden.

Für mich stellt sich aber auch eine andere Frage: Wird die KI den/die Vermessungsingenieur/in ersetzen? Ganz sicher nicht, wahrscheinlicher ist, dass ein neues Berufbild in innovativen Unternehmen integriert werden wird: gesucht werden am Arbeitsmarkt bereits „KI-Trainer/innen“ für viele Anwendungen, denn nur mit einem fachlich versierten Training in enger Abstimmung mit dem/der Vermessungsingenieur/in wird die KI für die Vermessungsbranche Bestleistung erbringen können.

Stephan Och, Ingenieur BDB
Vorstandsmitglied BDB-HESSENFRANKFURT