Das historische Herz zurückgeben

Rückgriff auf die Geschichte: Der Kern der Altstadt von Frankfurt am Main wird rekonstruiert

 

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Computerdarstellung des Hühnermarktes in Frankfurt am Main, wie sie nach der Rekonstruktion aussehen soll: Die Gebäude orientieren sich an den historischen Grundrissen der 1944 bei einem alliierten Bombenangriff zerstörten Altstadt (Bild: DomRömer)

 

Über Jahrhunderte war Frankfurt am Main durch seine mit telalterliche Altstadt, durch enge Gassen, Höfe und Fachwerkhäuser geprägt. Die alliierten Bombenangriffe des Zweiten Weltkriegs beendeten diese Tradition je. Nun entsteht der Kernbereich der 1944 verbrannten Altstadt neu – als Rekonstruktion.
Das Bauvorhaben soll der modernen Bankenstadt wieder das historische Herz zurückgeben. Zwar wurde Frankfurt erstmals 794 in einer Urkunde Karls des Großen erwähnt, die dauerhafte Besiedlung des Kernbereichs ist allerdings schon seit der Jungsteinzeit nachgewiesen. In der Römerzeit befand sich dort ein Militärlager, doch die nachhaltige Bebauung begann mit den Karolingern.

 

Unter CDU-Ägide erfolgten erste Rekonstruktionen

Der Bau einer Königspfalz führte dazu, daß die deutschen Herrscher den Ort regelmäßig aufsuchten, so daß er begann, eine bedeutende Rolle in der Politik des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation einzunehmen. Seit dem 14. Jahrhundert wurden hier die deutschen Könige beziehungsweise Kaiser gewählt, ab 1562 auch gekrönt. Das nun in der Rekonstruktion befindliche Areal von der Größe eines Fußballfeldes spielte beim Ablauf der Kaiserkrönung eine bedeutende Rolle. Nach der Zeremonie im Dom zog der neue Kaiser entlang dieses „Krönungsweges“ zum Festbankett ins nahe Rathaus am Römerberg. Die Fachwerkfassaden des Stadtquartiers verfügten deshalb über außergewöhnlich viele Fenster, weil diese einst von Massen Schaulustiger genutzt wurden.
Als im März 1944 innerhalb einer knappen Stunde 500 Luftminen, 3.000 schwere Sprengbomben und 1,2 Millionen Brandbomben der Alliierten über Frankfurts Stadtkern niedergingen, überlebten nur wenige Reste der gerade frisch renovierten Altstadt. Einige Einzelgebäude konnten wiederhergestellt werden, doch die Anhänger einer Rekonstruktion des Altstadtgefüges zwischen Dom und Römer mußten in der Nachkriegszeit eine Niederlage gegen ihre modernistischen Widersacher hinnehmen. Zwar wurden modernistische Pläne zur Bebauung des „Krönungsweges“ mit modernen Wohnblocks nicht verwirklicht, aber zwischen 1972 und 1974 entstand dort das überdimensionierte spätbrutalistische Technische Rathaus, ein clusterartiger Hochhauskomplex aus Beton und Glas.

 

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Wiederaufbau der Frankfurter Altstadt: Ein Publikumserfolg (Bild: Picture Alliance / DPA)

Die Bewußtseinswende setzte eigentlich bereits in den achtziger Jahren ein, als unter der Ägide des CDU-Oberbürgermeisters Walter Wallmann die Rekonstruktion mehrerer Fachwerkbauten am Römerberg erfolgte. 2005 beschloß die Stadt Frankfurt, das sanierungsbedürftig gewordene und mit Asbest belastete Gebäude des Technischen Rathauses abzureißen, was ab 2010 auch in die Tat umgesetzt wurde. Als die Pläne zur Neubebauung publik wurden, die mehrere modernistische Großbauten vorsahen, begann sich Widerstand in der Frankfurter Bevölkerung zu regen. Viele Bürger sahen die Chance, daß man in diesem kleinen Kernbereich der einst weit größeren Altstadt den Eindruck des historischen Frankfurt wieder auferstehen lassen könnte.
Die kleine Oppositionsfraktion der „Bürger Für Frankfurt BFF“ stellte 2005 als erste einen Antrag im Stadtparlament, der die Wiederherstellung der historischen Gassenstruktur und einzelne Rekonstruktionen vorsah. Obwohl der Antrag von den Mehrheitsfraktionen abgelehnt wurde, war das Medienecho enorm. Es gründete sich der Verein Pro Altstadt, um das Vorhaben zu unterstützen. Der junge Offenbacher Bauingenieur Dominik Mangelmann präsentierte eine mit Computergraphiken anschaulich gemachte Realisierungsstudie für eine historische Rekonstruktion des Areals. Der Diplom-Geograph Jörg Ott schuf einen virtuellen fotorealistischen Stadtrundgang durch das alte Frankfurt als 3D-Modell.
Schließlich schwenkte die politische Führungsschicht der Stadt um, fand teils selbst Gefallen an der Idee und plante das Stadtareal neu. So entstehen nun bis 2017 wieder der Krönungsweg, der alte Hühnermarkt und mehrere Gassen in einer Mischbebauung aus 15 Rekonstruktionen und 20 gestalterisch angepaßten Neubauten. Unter anderem werden so berühmte Häuser wie die „Goldene Waage“ gegenüber dem Dom, das „Rote Haus“, das „Haus der Tante Melber“ und das „Goldene Lämmchen“ wiedererstehen.

 

Wohnungen sind längst an Liebhaber verkauft

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Modell des Hauses ‚Goldene Waage‘: Mischbebauung (Bild: DomRömer)

Das Bauvorhaben geschah keinesfalls ohne Widerstände. Vor allem das modernistische Establishment in der Architektenschaft versuchte mit Polemik und technischen Gegenargumenten das Projekt zu torpedieren. Somit ist das Ergebnis der Mischbebauung auch ein Kompromiß mit den Machtansprüchen der modern ausgerichteten Architektenschaft. Hinzu kommen aktuelle Bauauflagen, beispielsweise Brandschutzbestimmungen. Auch wenn viele Bürger gerne mehr Rekonstruktionen gesehen hätten, ist das entstehende Stadtquartier bereits jetzt ein Publikumserfolg. Trotz hoher Quadratmeterpreise sind die entstehenden 54 Wohnungen längst an Liebhaber verkauft. Mittlerweile ist die Fertigstellung einiger der Rohbauten absehbar. Handwerksbetriebe von Westfalen bis Franken sind mit der Bearbeitung der Hölzer und Sandsteinelemente betraut. Zudem werden zahlreiche erhaltene Originalfundstücke, sogenannte Spolien, wieder in die Hausfassaden eingefügt.
Das Frankfurter Projekt ist zu unterscheiden von vielen Rekonstruktionsvorhaben der letzten Jahre. Da die Mainmetropole keine Residenzstadt war, gibt es kein Stadtschloß zu rekonstruieren. Das dort 2009 bereits rekonstruierte Adelspalais Thurn und Taxis kann nicht mit den Schlössern in Berlin, Braunschweig oder Potsdam verglichen werden. Am ehesten läßt sich das Frankfurter Projekt, das ein ganzes Gebäudeensemble beinhaltet, mit der Wiederauferstehung des Dresdner Neumarkts um die Frauenkirche vergleichen.
Nur auf den ersten Blick wirkt es anachronistisch, in Deutschlands „amerikanischster“ Stadt, deren Silhouette von zahlreichen Bankenhochhäusern geprägt ist, nun wieder Fachwerkhäuser zu errichten. Genauer betrachtet ist der Rückgriff auf Geschichte und Tradition aber ein Korrektiv und die folgerichtige Reaktion auf die derzeit dominanten Globalisierungs- und Normierungstendenzen.
Der in Frankfurt am Main lebende Architekturkritiker Dankwart Guratzsch (76) schrieb unlängst in der Welt, daß die Frankfurter Bürger oft besser als die schwerfällige Verwaltung und eine modernisierungsbeflissene Architektenschaft wüßten, daß die Geschichte ihrer Stadt nicht mit dem Bau der Bankentürme begonnen habe: „Der Bürger der fast nur noch digital verorteten Gesellschaft versichert sich der verlorenen Anker seiner Herkunft und versieht sie mit der felsenfest massiven Aussteifung aus Zement.“

 

CLAUS-M. WOLFSCHLAG
erschienen in ‚JUNGE FREIHEIT‘

 

 

 

Pro Altstadt e.V.

Die im November 2005 gegründete überparteiliche Bürgerinitiative Pro Altstadt engagiert sich für die „weitgehend historische Rekonstruktion der Altstadt Frankfurts auf dem Areal des Technischen Rathauses und dessen unmittelbarem Umfeld“. Zudem setzt sie sich für den Wiederaufbau und die Erhaltung historischer Gebäude im gesamten Frankfurter Stadtgebiet ein. Dazu betreibt der gemeinnützige eingetragene Verein Öffentlichkeitsarbeit, beteiligt sich an der Beschaffung sowie Entwicklung von Bauplänen und Modellen und sammelt Spenden zur Finanzierung einzelner Baurekonstruktionen beziehungsweise veranstaltet Benefizaktionen zugunsten der Bauten. Vorsitzende des Vereins ist die Innenarchitektin Cornelia Bensinger.

Beiträge und Spenden können auf folgendes Konto eingezahlt werden:
Verein Pro Altstadt e.V., Frankfurter Volksbank, BLZ 501 900 00, Konto-Nummer 7300016981

Weitere Information im Internet:
www.pro-altstadt-frankfurt.de